Meine Eltern waren beide dick. Wir lebten auf dem Land. Die beiden waren selbstständig und jeden Tag fürs Geschäft 12 bis 14 Stunden auf den Beinen, auch an den Wochenenden. Sie waren sehr, sehr fleißig – das Klischee vom maßlosen, faulen Dicken greift hier also mal wieder nicht. Täglich wurde frisch gekocht. Einfache, ländliche Küche mit regionalen Zutaten. Kein Fast Food und keine Fixtüten. Trotzdem waren sie sehr dick und auch ich war als Kind dick und bin es heute immer noch.
Sind meine Eltern schuld?
Klar, gutes Essen war uns wichtig. Meine Eltern waren nur zweimal im Leben im Urlaub, mussten immer sparsam leben und die gemeinsamen Mahlzeiten am Küchentisch waren im sonst so trubeligen Alltag ein Luxus. Unsere kleine „Familienoase“. Ich frage mich, ob ich einfach die „schlechten Gewohnheiten“ meiner Eltern übernommen habe. Ob wir genetisch vorbelastet sind oder woran es eigentlich liegt, dass ich auch dick geworden bin. Viele Wissenschaftler haben sich bereits mit diesem Thema beschäftigt und darum soll es heute gehen.

Schon vor der Geburt auf Dicksein programmiert
Forscher Martin Wabitsch von der Universitätsklinik Ulm hat im Rahmen einer Studie 1.000 Kinder und deren Eltern untersucht und nachgewiesen, dass es eine vorgeburtliche Programmierung auf „dick“ gibt. Wenn die Mütter schon vor der Schwangerschaft übergewichtig waren, hatten deren Kinder bereits in der Schulzeit einen um 40 bis 50 Prozent höheren Insulinspiegel als Kinder von normalgewichtigen Müttern. Und das macht anfällig für Übergewicht. Die betroffenen Kinder bleiben, auch wenn sie sich später gesund ernähren, dauerhaft von der angeborenen Stoffwechselstörung geprägt und werden dazu neigen, mehr zu essen. Der Stoffwechsel lässt sich auch nicht umprogrammieren.

Sind die Gene Schuld?
Die Molekulargenetikerin Professor Dr. Anke Hinney von der Uniklinik Essen forscht schon seit 20 Jahren darüber, wie genetische Faktoren das Gewicht mitbestimmen. „Mindestens 50 Prozent, manche sagen sogar bis zu 80 Prozent, der Varianz des Körpergewichts ist erblich bedingt“, sagte Anke Hinney auf einem Fachsymposium in Berlin. Es gibt mehrere Hundert Genvarianten, die das Gewicht beeinflussen. Bestimmte Gene können die Menschen sogar 40 bis 60 Kilo schwerer machen, zum Beispiel das Leptin-Gen. Meist lässt sich aber nicht nur ein einziges Gen als Ursache für das Gewicht ausmachen, es ist das Zusammenspiel verschiedenster genetischer Varianten, die einzeln durchschnittlich nur eine Erhöhung des Körpergewichts von 100 bis 1.500 Gramm ausmachen. Eigentlich ein schlauer Zug der Natur, denn in Zeiten von Hungersnöten hätten Menschen mit diesen Genvarianten einen Überlebensvorteil, da sie die wenigen verfügbaren Kalorien gut verwerten können.

Von Mäusen und Menschen – „Epigenetik“
Am Helmholtz Zentrum in München konnte der Forscher Prof. Dr. Martin Hrabe de Angelis in einer Studie nachweisen, dass nicht nur die Gene bestimmen, ob Kinder zum Dickwerden neigen, sondern auch das Verhalten und die Konstitution der Eltern vor der Zeugung. Die Veranlagung zu Übergewicht und Diabetes wird also vererbt. Dabei ist nicht nur die DNA beteiligt, sondern auch die Elemente, die am Genstrang hängen und durch das Verhalten der Eltern erst aktiviert werden. Das nennt man Epigenetik. Mehrere Studien an Mäusen und Menschen hatten zuvor bereits bewiesen, dass Übergewicht epigenetisch von Vätern weitergegeben werden kann. Wissenschaftler aus Kopenhagen zum Beispiel fanden epigenetische Veränderungen in Spermien, die Gene zur Steuerung von Appetit betrafen. Professor Hrabe de Angelis konnte in seiner Studie beweisen, dass der mütterliche Einfluss auf die Veränderung des Stoffwechsels noch weitaus größer ist.

Und was heißt das jetzt für mich?
Unsere Gene und der Lebensstil der Eltern prägen den Stoffwechsel des noch ungeborenen Kindes. Kinder von dicken Eltern werden also eher dick als Kinder von dünnen Eltern. Menschen mit einer genetischen Adipositas-Anlage haben ein Päckchen zu tragen, das dünne Menschen nicht bewältigen müssen. Dazu kommt natürlich noch das Verhalten, das auch ganz maßgeblich von den Eltern und der Umwelt geprägt wird und das Gewicht in die eine oder andere Richtung beeinflussen kann. Es geht mir nicht darum, eine Rechtfertigung fürs Dicksein zu finden. Und schon gar nicht darum, meine oder andere Eltern zu verurteilen. Jeder trägt für sich selbst Verantwortung. Aber für einige Menschen ist es eben besonders schwer, dünn(er) zu werden und zu bleiben.
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