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„Wer, wenn nicht wir?“
Kultur

„Wer, wenn nicht wir?“

Hetero. Lesbisch. Bi. Inke Sterzik denkt nicht in solchen Kategorien. Sie setzt sich für Fairness & Toleranz ein. Als Chefin bei OTTO. Und privat gemeinsam mit ihrer Frau.

Autorin Kathrin Wittig Lesedauer: 2 Minuten
Sich verstellen, um nicht aufzufallen oder anzuecken? Für Inke Sterzik keine Option. Privat und beruflich über OTTOs queeres Netzwerk MORE* engagiert sie sich für Vielfalt. Damit aus Gleichberechtigung auch Gleichbehandlung wird.

Inke Sterzik ist Chefin. Sie ist Mutter. Und sie ist mit einer Frau verheiratet. All das ist – in Kombination wie auch in den Einzelfaktoren – für sie vor allem eines: ganz normal. Deshalb musste sie auch nicht lange überlegen, sich für dieses Portrait interviewen zu lassen: „Warum auch nicht?“, fragt Inke, als wir an diesem Juli-Vormittag videochatten und sie erzählt, warum sie sich gar nicht als „anders“ definiert: „Mit meiner sexuellen Identität bin ich schon immer sehr offen umgegangen – genau wie mit all den anderen Aspekten, die mich als Mensch ausmachen.“ Je selbstverständlicher ihre Lebensweise für sie ist, desto normaler ist sie auch für ihr Umfeld.

„Keine Freundin oder gute Freundin oder DIE Freundin – sondern ‚meine Frau‘!“

Seit inzwischen 20 Jahren ist Inke mit ihrer heutigen Frau zusammen, vor 15 Jahren haben sie ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen. Damals war Inke 25. „Ich bin diesen Schritt bewusst früh gegangen, denn ich wollte damit auch ein Zeichen setzen und ganz offiziell sagen können: Das ist meine Frau! Keine Freundin oder gute Freundin oder DIE Freundin – sondern ‚meine Frau‘!“, sagt die studierte Medieninformatikerin und lacht. Der Plan ist aufgegangen. Inzwischen sind die beiden Frauen verheiratet.

In ihrem privaten Umfeld ist ihre gleichgeschlechtliche Ehe überhaupt kein Thema mehr. Und beruflich? „Auch nicht“, sagt Inke. „Ich rede auch bei OTTO offen darüber, wer ich bin und wie ich lebe – und das von Anfang an.“ Seit mittlerweile fast 10 Jahren ist Inke bei OTTO und führt inzwischen als Abteilungsleiterin das Strategic Project Management im EC-Bereich. „EC“, das sind bei OTTO die „Techies“, die OTTOs Shop auf Website, App & Co bauen. „Wenn ich heute Bewerber*innen im Vorstellungsgespräch habe, lasse ich bewusst immer nebenbei mit einfließen, wie ich lebe – auch um meinem Gegenüber direkt ein Zeichen zu geben: ‚Hey, es ist völlig ok für mich und für dieses Unternehmen, wenn du auch ‚anders‘ bist“, sagt Inke.

Umgang mit sexueller Identität hat sich gewandelt

Vor ziemlich genau einem Jahr gründete sie gemeinsam mit anderen Kolleg*innen MORE*, das queere Netzwerk der Otto Group, das sich für die Interessen von LGBTIQ*-Menschen (*lesbian, gay, bisexual, transsexual, intersexual, queer, nonbinary) im gesamten Konzern einsetzt – und für einen vorurteilsfreien Umgang mit sexueller Identität. „Eine meiner Leidenschaften ist es, Leute zusammenbringen und thematisch zu netzwerken, auch über meine Abteilungsgrenzen hinaus“, sagt Inke und erzählt weiter, dass sie selbst noch nie beruflich diskriminiert oder gar angefeindet wurde. „Aber der Umgang mit sexueller Identität war damals, als ich bei OTTO angefangen habe, noch ein anderer. Es war irgendwie ‚exotisch‘, anders als die Norm zu sein. Und viele Kolleg*innen begegneten mir mit neugierigem Interesse an meiner Lebensweise“, wieder lacht Inke – und spricht weiter: „Zu meinem Einstand bei OTTO habe ich Muffins mitgebracht und erzählt, dass meine Frau die gebacken hat. Die irritierte Reaktion der Kolleg*innen: ‚Welche Frau? Deine Putzfrau?!`“ Inke klärte sie auf – und die Sache sowie die Muffins waren gegessen.

Wir haben nichts zu befürchten. Wir können nur gewinnen.

Inke Sterzik , Abteilungsleiterin Strategic Project Management, OTTO

Ob hetero-, homo- oder bisexuell – Inke mag nicht in solchen Kategorien denken. „Ich selbst bezeichne mich auch nicht als ‚lesbisch‘. Ich habe mich eben damals in einen Menschen verliebt, der zufällig eine Frau ist“, sagt sie und zuckt mit den Schultern.



Menschen begegnen ihr weitestgehend vorurteilsfrei, trotzdem weiß Inke, wie es sich anfühlt, diskriminiert zu werden. Gerade im Moment kämpfen sie und ihre Frau dafür, die Gleichberechtigung auch dort durchzusetzen, wo sie noch nicht angekommen ist: Der Grund dafür heißt Jonas, ist ein Jahr alt und offiziell derzeit lediglich Inkes Kind, ihre Frau ist nicht als Mutter und damit offizielles Elternteil anerkannt. „Grund dafür ist ein veraltetes Abstammungsrecht, hier muss dringend nachgebessert werden, denn diese Ungleichbehandlung betrifft ja nicht nur uns, sondern sehr viele Frauen-Elternpaare“, klärt Inke auf.

Selbst, wenn formell in vielen Belangen bereits Gleichberechtigung herrscht, heißt das nicht automatisch auch immer Gleichbehandlung. „Wir machen immer unseren Mund auf, um unser Recht durchzusetzen, gehen voran und lassen uns auch vor Behördenirrsinn nicht abschrecken. Oft hören wir auf den Ämtern: ‚Oh, so einen Fall wie Ihren hatten wir hier noch nie‘ – aber dann sorgen wir eben dafür, dass sie sich mit uns auseinandersetzen“, sagt Inke entschlossen.

Voranzugehen und für die LGBTIQ*-Community auch dort Türen zu öffnen, wo sie vielleicht noch verschlossen sind, ist für Inke und ihre Frau selbstverständlich. „Wer, wenn nicht wir?“ fragt sie und erklärt: „Wir leben in Deutschland in stabilen politischen Verhältnissen, wir haben genügend zu essen, genießen gute Bildung. Es geht uns gut hier. Wir haben nichts zu befürchten, wenn wir uns für die Belange derjenigen einsetzen, die vermeintlich ‚anders‘ sind, für Toleranz und einen vorurteilsfreien Umgang. Im Gegenteil: Wir können doch nur gewinnen.“

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