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Machtgefälle abbauen: Wie Mentoren und Mentees den Wandel einleiten
Kultur

Machtgefälle abbauen: Wie Mentoren und Mentees den Wandel einleiten

Sprechen Unternehmen von Mentoring-Programmen, ging es früher darum, dass junge Mitarbeiter*innen den Erwartungen der Mentoren gerecht werden. Es wird Zeit, das Verhältnis zu klären

Autorin Linda Gondorf Lesedauer: 5 Minuten
Verständnis, Wertschätzung und Erkenntnisse: Das sind drei Dinge, die Mentoren und Mentees bei ihrem Austausch mitnehmen sollten. Warum es bei einem Mentoringprogramm nicht um hierarchisches Getue, Machtspielchen oder von oben vorgegebenes Lernen geht und wie wichtig die Etablierung solcher Programme im Unternehmen ist

Hast du Lust, einer jüngeren Führungskraft endlich mal dein ganzes geballtes Wissen weiterzugeben? Willst du eine Art Karriere-Ratgeber*in sein, weil du selbst schon alles weißt? Und sowieso wärst du insgeheim lieber Lehrer*in geworden? Dann ist Rolle des Mentors ziemlich wahrscheinlich überhaupt nichts für dich.

Es geht vielmehr um Zusammenarbeit der Generationen, gemeinsam Visionen zum Leben zu erwecken, Wissen im Unternehmen zu erhalten und Silos aufzubrechen. Heute lernen auch Mentoren etwas von ihren Mentees. Weil immer mehr Unternehmen auf Mentoring-Programme setzen, um junge Führungskräfte und erfahrene Manager*innen zusammenzubringen, braucht es eine klare Linie, was ein solches Programm auf keinen Fall ist. Aber von Anfang:

Der Coaching- und Mentoringmarkt wächst rasant. 2017 belief sich der Umsatz im deutschen Coaching-Markt laut der Marburger Coaching-Studie auf 550 Millionen Euro. Seit 2010, also seit Ende der jüngsten Wirtschaftskrise, verzeichnet dieser im deutschsprachigen Raum ein durchschnittliches jährliches Wachstum von etwa zehn Prozent. Eine positive Entwicklung, die zeigt, dass der Austausch zwischen den Generationen zunimmt und Lernen einen höheren Stellenwert bekommt. Allerdings sollten sich Unternehmen im Vorfeld bewusst darüber sein, wie sie solch ein Programm innerhalb ihrer Organisation definieren und dieses ins Haus tragen. „Das klassische Bild des allwissenden Managements, das auf die junge Führungskraft einredet, ist nicht mehr zeitmäßig. Die neue Führungsphilosophie hat sich verändert. Früher hatte solch eine Zusammenkunft immer etwas Erhabenes. Heute geht es um Führung und Zusammenarbeit“, erklärt Nico Schipper, Senior Recruiter bei OTTO.

Die Rolle des Beraters

Mentoren sind Sparring-Partner für jüngere Mitarbeitende. Sie werden zwar meist wegen ihrer Erfahrung gebeten, diese Rolle auszufüllen, heute geht es aber vielmehr darum, ob diese sich in Probleme hineinversetzen, mit Rat, Informationen und Orientierung eingreifen können und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Sie sollten emotional in der Lage sein, sich in bestimmte Situationen hineinzufühlen und vor allem sollten sie ihre eigenen ersten Schritte als Führungspersönlichkeit nicht vergessen haben.

Die Rolle des Mentees

Im Gegensatz dazu sind Mentees Nachwuchs- oder junge Führungskräfte, die im Austausch Stärken und Schwächen erarbeiten. Im Vorfeld sollte sich der Mentee klar machen: Was sind meine eigenen Pläne, Wünsche und was will ich zur Beziehung zwischen meinem Mentor und mir beitragen?
Im besten Fall gehen Mentees aus den Gesprächen mit ihrem Berater raus und haben das Gefühl, die ungeheure Flut der Gedanken und Aktionen gut sortiert zu haben. Und: Sie sollten auch neue Denkmuster und Lösungsansätze mitgenommen haben. Was so leicht klingt, ist in der schnelllebigen Unternehmenswelt, dem täglichen Hamsterrad, keine Selbstverständlichkeit.

Zusammenarbeit und Austausch schaffen

Auch bei OTTO gibt es ein solches Programm, das sich „Freunde der Lead Factory“ nennt. Die Lead Factory bildet den Abschluss der Führungskräfteauswahl und findet viermal im Jahr mit Nachwuchskräften und Manager*innen statt. Das Programm bei OTTO ist speziell für Führungskräfte. Für zwei Tage matched das HR-Team Mentor und Mentee – da kommt es auch vor, dass diese Personen aus unterschiedlichen Bereichen kommen. „Wir schauen gemeinsam drauf, wer zu wem passt. Wir wollten das hierarchieübergreifende Lernen fördern und haben deswegen junge Führungskräfte mit Mentoren zusammengebracht, die vielleicht sogar in einem komplett anderen Bereich tätig sind. Der Wunsch dahinter war immer, Hierarchien aufzulösen, für mehr Durchlässigkeit zu sorgen und ein Verständnis der Generationen zu schaffen. Vor allem geht es um den Austausch und das aktive Voneinanderlernen“, erklärt Ulrike Lembke, Recruiting-Coordinatorin bei OTTO. Seit gut einem Jahr gibt es das Mentoringprogramm, um hausübergreifendes Lernen und Annähern zu schaffen. „Wir sehen in der Rolle nicht jeden. Es sind handverlesene 12 Mentoren. Persönlichkeiten, die Lust haben, mit jungen Menschen zu arbeiten, die diagnostisch etwas mitbringen und die selber aus der Zusammenarbeit viel mitnehmen können“, erzählt Daniel Wiegemann, er arbeitet im Circle Lead Recruitment bei OTTO, bei einem Kaffee.

Was passiert dann während der zwei Tage? Es gibt mehrere Sessions zu Themen, die das Haus bewegen, immer im Kontext von Führung. Auch kann sich das Team für eigene Übungen zurückziehen und bespricht dann persönliche Themen wie strategische Ziele. Der Personalbereich begleitet und führt dann Ergebnisse zusammen. Zur Vorbereitung auf die Lead Factory können sich die beiden Personen zum Annähern treffen und austauschen. So lassen sich Erwartungshaltungen überprüfen und falsche Annahmen vorbeugen. Auch nach dem Programm kann der Kontakt bestehen bleiben, wenn der Austausch für beide sinnvoll und spannend war. Themenschwerpunkte sind: strategische Führung, Reflexion von Führung und zukunftsorientierte Führung.

Voneinander lernen

Der Weg des Lernens funktioniert heute nicht mehr nur in eine Richtung, sondern sollte im besten Fall für beide Parteien produktiv und auf Augenhöhe sein. So kann Wissen in beide Richtungen vermittelt werden. Ein Austausch fruchtet, wenn Vertrauen die Basis ist und Ideen, Vorstellungen, Schwierigkeiten besprochen und gelöst werden können. Was nehmen Mentoren mit und was Mentees? „Sie beide nehmen besseres Verständnis, gegenseitige Wertschätzung, und die Erkenntnis mit, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze gibt. Wie sehr sich die Auffassung von Arbeit und Work-Life-Balance geändert hat, wird auch schnell sichtbar und oft diskutiert. Mentoren und Mentees bauen so klassisches Rollenverhalten ab und erweitern ihren Horizont“, so Daniel.

Damit Führung heute und morgen anders denkt, braucht es Austausch. Nur durch solche Programme im Unternehmen kann die Zusammenarbeit der Generationen besser funktionieren, es können gemeinsame Visionen zum Leben erweckt, Wissen im Unternehmen erhalten und Silos aufgebrochen werden.

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